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Nachbericht: BDA Konsil 1 / 8. Juli 2022

11. August 2022

Im Haus der Architektur (HdA) trafen sich am 8. Juli 2022 etwa 50 BDA Kolleginnen und Kollegen, um die Thesen des Positionspapiers „Das Haus der Erde“ gemeinsam zu diskutieren. Nach Begrüßungsworten der ByAK-Präsidentin Prof. Lydia Haack und einer kurzen Einführung durch den Landesvorsitzenden Dr. Jörg Heiler verfolgten wir in einem Video das Gaia-Konzept des französischen Philosophen Bruno Latour.

Im Anschluss erläuterten der Moderator Prof. Matthias Böttger den Tagesablauf und Julia Mang-Bohn berichtete kurz über die vorangegangenen Gesprächsrunden in allen fünf Kreisverbänden.

Sodann verteilten sich die Teilnehmer an die zehn Tische, um jeweils eine Position in kleinen Gruppen zu diskutieren. Im Anschluss stellten jeweils die Sprecher der Tische ihre Ergebnisse vor:

Zur Position I Politisch Denken und sich Einmischen wird vorgetragen, dass der BDA aufgrund seiner kleinteiligen Struktur vielfältige Möglichkeiten des „Sich-Einmischens“ – lokal, regional und bundesweit, habe. Dazu solle er sich strategisch-publizistisch besser darstellen und seine Vorbildfunktion durch gebaute Beispiele, welche bürgerliches Engagement einbeziehen, zeigen. Wichtig sei außerdem, sich persönlich politisch zu betätigen, sich in Gremien und Gemeinderäte wählen zu lassen. Je früher Architektinnen und Architekten bei Projekten eingebunden seien, desto mehr Einfluss können sie auf den richtigen Weg zu einer Baukultur im Sinne des „Haus der Erde“ nehmen.

Erzählungen für ein neues Zukunftsbild (Position II) zu imaginieren, sei schon immer das Geschäft der BDA Mitgliedschaft. Wie können aber gute Konzepte und positive Bilder in der Gesellschaft sichtbar gemacht werden? Aufgabe des BDA wäre es, in diesem Sinne z.B. schöne Beispiele von Kolleginnen und Kollegen zu veröffentlichen und sichtbar zu machen. Mehr Präsenz in der Tagespresse, nicht nur in der Fachpresse, wäre hilfreich.

An der Achtung des Bestandes (Position III) fehlt es aus Ratlosigkeit, Unkenntnis und vor allem aus wirtschaftlichen Erwägungen, solange das Baurecht höhere Nutzungen durch Abriss und Neubauten ermöglicht. Schon auf der Ebene der Stadtplanung sei hier anzusetzen, Architekten und Stadtplanerinnen müssen den Bestand schützen bzw. bevorzugen. Mit den Kommunen müssen sie dazu geeignete Planungsinstrumente (vorbereitende Bauleitplanung, SIL, Mehrwert vor Ort sichtbar machen) nutzen. Für diese gute Planung in Phase 0 ist mehr Zeit erforderlich. Auch abgestufte Planungen mit Übergangs- und Zwischennutzungen seien eine gute Möglichkeit. Dafür müsste die Honorierung angepasst werden, um trotz geringeren Bauvolumen oder -kosten auskömmlich arbeiten zu können. Grundsätzlich gilt: der Neubau ist noch zu billig und der Bestandserhalt daher momentan ökonomisch nicht konkurrenzfähig.

Was ist einfach intelligent (Position IV)? Suffizienz? Müssen wir anders bauen und dann technisch reduzieren? Sollen wir weniger bauen oder ist Deutschland sogar schon fertig gebaut? Ist Nutzungsneutralität bei vielen Entwürfen vielleicht ein Gebot der Stunde? Wie viel Macht hat der Architekt in diesem Zusammenhang – kann er Vorgaben machen oder gibt es mehr Mitspieler, die das Geschehen lenken? Und ist dann vielleicht die Kommunikation ein zentrales Element des intelligenten Bauens? Brauchen wir andere Planungsabläufe und müssen ausführende Firmen früher eingebunden werden? Ist Planen und Bauen immer ein Kompromiss oder könnte man den Planungsprozess eher als Optimieren bezeichnen?

Für das Bauen als materielle Ressource (Position V) braucht es andere Rahmenbedingungen und entsprechende Fördermaßnahmen. Bisher gebe es kaum Baustoffhändler, die z.B. Rezyclate anbiete und keine Regelungen, die den Wiedereinbau haftungsrechtlich absichern würden.

Ist die Position IV Vollständige Entkarbonisierung eine naive Forderung oder steckt darin sogar eine große Kraft? Es wird bezweifelt, dass man auf Beton beim Bauen gänzlich verzichten kann. Hier bräuchte der Architekt vermutlich mehr Mitstreiter, die auf natürliche Materialien Wert legen.

Bei der Position VII Neue Mobilitätsformen gilt es zunächst zwischen Stadt und Land zu unterscheiden. Auf dem Land ist der Individualverkehr vorläufig noch unverzichtbar, wenngleich es schon Alternativen gäbe, z.B. On-Demand Verkehr in Österreich. In der Stadt jedoch nimmt das Auto zu viel Platz ein und sollte daher zurückgedrängt werden. Die Architekten sollten sich den Straßenraum von den Verkehrsplanern zurückholen und eine paritätische Verteilung von Fußgängern, Rad- und Autofahrern entwickeln. Dadurch entstünde mehr Lebensqualität im städtischen Raum.
Insgesamt ist ein Umdenken bei Siedlungspolitik und Pendlerverkehr von Nöten, die Bestandsstrukturen sind weiterzuentwickeln und das Bahnfahren muss komfortabler und günstiger werden, sodass das Auto weniger genutzt werden muss.

Um die Polyzentralität (Position VIII) zu stärken, muss vor allem die Abwanderung in die Städte zurückgeführt werden. Identitätsstiftende kulturelle Aktionen z.B. von ehrenamtlich organisierten Vereinen, sind hier ein zentrales Arbeitsfeld, auch die Digitalisierung bietet Chancen. Aufs Land zu ziehen statt in die Stadt muss wieder als Fortschritt wahrgenommen werden. Die Städtebauförderung hat viel Positives bewirkt und darf nicht wegfallen. Die Entwicklung der ländlichen Räume darf nicht dem Markt überlassen werden, sondern man muss fachlich gebietsübergreifend denken und kollaborative Planungsinstrumente schaffen. Leuchtturmprojekte aus dem ländlichen Raum müssen weiterverbreitet und veröffentlicht werden.

Zur Kultur des Experimentierens (Position IX) wird einleitend gefragt, ob auch beim Bauen ein Experiment nicht gelingen darf? Ist damit auch eine Kultur des Scheiterns gemeint? An sich ist jeder Entwurf schon ein Experiment, der von den Architekten sehr positiv gesehen wird (z.B. Wettbewerbe) und die Lust auf das Experiment entsteht aus guten Vorbildern. Beim architektonischen Experiment muss eine Nachjustierung möglich sein.
Das Experiment beginnt schon beim Gedanken – brauche ich überhaupt das Bauen oder geht es auch ohne? Eine Vernetzung mit anderen Berufs- und Gesellschaftsgruppen wie Politikern, Bürgern, Nutzern, Soziologen etc. ist für das Experimentieren erforderlich. Der Möglichkeitsraum für das Experiment muss auch von anderen Akteuren bereitgestellt und Hindernisse aus dem Weg geräumt werden.

Dazu müssen wir uns in der Politik engagieren, die nach Position X Politische Versuchsräume zulassen muss. Die Initiative des Gebäudetyps E der ByAK ist auf einem guten Weg dazu. In Zeiten des Klimawandels ist unsere Expertise gerade gefragt, wir rennen offene Türen damit ein. Wir Architekten sollten uns in partizipativen Strukturen, an Bezirksausschüssen und Baukunstbeiräten beteiligen, um Akteure zu ermutigen, ins Experiment zu gehen. Auch in der Lehre sind die Positionen des „Haus der Erde“ vollständig einzubringen!

Nachdem alle Positionen vor dem Plenum vorgetragen waren, begaben sich alle Teilnehmer zu einer Mittagspause im Foyer des HdA. Auch der Garten wurde bei dem ange-nehmen Wetter ausgiebig für weitere Diskussionen in unterschiedlichen, kleinen Gruppen genutzt.

Am Nachmittag trugen zuerst die eingeladenen Kommentatorinnen und Kommentatoren aus z.T. anderen Disziplinen ihre Eindrücke aus dem Vormittag vor und gaben uns folgendes mit auf den Weg:

Prof. Dr. Martin Düchs, Architekt BDA a.o. und Philosoph
Er findet den Begriff der Sorge, der oft verwendet wurde interessant und führt diesen aus.
Er schlägt vor, den Begriff des Kompromisses mit dem des Optimums zu ersetzen.
Er vergleicht die Arbeit von uns Architekten mit dem Mythos des Sisyphus – und speziell mit der Geschichte von Albert Camus, die damit endet, dass man sich Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen müsse.
Er führt aus, weshalb die Phase 0 für uns Architekten wichtig ist und dass wir dafür auf der philosophischen Ebene verweilen und darin die Frage, wie wir zusammenleben wol-len, beantworten müssen.
Und er hebt zum Schluss den Zeigefinger angesichts der Geschichte der Architekten, trotz berechtigten Selbstbewusstseins eine gewisse Demut walten zu lassen.

Niloufar Tajeri, Architekturtheoretikerin und Aktivistin
Sie erinnert an das Konzept des unsichtbaren Designs von Lucius Burckhardt aus den 70er Jahren: wir gestalten nicht nur Objekte und Artefakte, wir gestalten Prozesse.
Sie meint das Formieren von Bündnissen mit anderen Initiativen, mit Aktivistinnen, mit anderen Berufsverbänden sei sehr wichtig und schon politische Arbeit!
Sie plädiert dafür, Experimente als Frage nach der Aufgabe zu sehen und sich ganz neuen Aufgaben zu stellen. Eine neue Aufgabe zitiert sie aus der Degrowth Debatte: „… Degrowth verlangt nicht dasselbe im kleinen Rahmen zu tun, also nicht den Elefanten schlanker machen, sondern es geht darum, ihn in eine Schnecke zu verwandeln.“
Sie fordert die Zieldimension globale Gerechtigkeit nicht zu vergessen und liest die Empfehlung des Weltklimarates vor: im globalen Norden nur noch klimaneutraler Umbau, im globalen Süden klimaneutraler Neubau.
Sie findet ein einzelnes Zukunftsbild problematisch, meint vielmehr, es müsse mehrere geben und neu müssten diese vielleicht auch nicht sein. Wir könnten uns stattdessen mehr auf die Gegenwart konzentrieren, um mit etwas mehr Aufmerksamkeit auf das zu schauen, was schon da ist und auf dem wir aufbauen können.

Dr. Bertram Kloss, Circular Economy
Er sieht die Aufgabe der Architekten und Stadtplanerinnen wie auch bei anderen Wirtschaftszweigen darin, Zweck- und Nutzerbedürfnisse zu erfüllen. Und das ist auch der Pfad, wie man von einer linearen, extraktiven Wirtschaftsform zu einer zirkulären Welt kommt: die Leute wollen eigentlich kein Zeug besitzen, sondern sie wollen den Nutzen von Sachen erfahren und ihre Bedürfnisse erfüllt sehen. Die Leute wollen keine Dächer, Wände, Türen, keinen Beton oder Stahl besitzen, sondern sie wollen ein hochqualitatives Leben und Arbeiten in der Stadt oder auf dem Land.
Er sagt, dass systemische Veränderungen nach seiner Erfahrung nur durch ein In-Bezug-Treten mit anderen möglich sind. Architekten müssen also Teil dieses Gesamtprozesses sein und eine holistische Perspektive einnehmen.
Er spricht die Metaebene zum Paradigmenwechsel und neue Narrative an: das System kann sich mit Interventionen ändern, der Zweck des Systems steht dabei sehr weit oben auf der Liste. Noch ein Schritt höher stehen aber die Paradigmen, die dieses System beschützen. Und um andere Paradigmen zu installieren, braucht man auf jeden Fall die Vor-stellung und die Beschreibung von möglichen Zukünften, die anders sind, als die, die wir alle noch in unseren Köpfen haben.

Zum Abschluss der Experten-Kommentare stellt Kate Raworth, Professorin der Ökonomie in Oxford und Cambridge, ihre Donut Ökonomie in einem Ted-Video kurz vor.

Nach einer Kaffeepause im Garten treffen alle Teilnehmer am späten Nachmittag zum Plenum zusammen.

In einem offenen Austausch werden die zuvor gehörten Kommentare und die Tischdiskussionen aufgegriffen und meist sehr einig, manches auch kontrovers debattiert. Die we-sentlichen Stichpunkte aus dieser Debatte sind im Folgenden zusammengefasst:

Wir brauchen Bündnisse mit allen gesellschaftlichen Gruppen, Bündnisse sind auch nötig, um Parallelarbeit zu vermeiden, Bündnisse helfen dabei, die Sicht von Architekten und Stadtplanerinnen an die Bürgerschaft zu bringen.

Wir brauchen eine bessere Kommunikation: positive Wortwahl und gute Beispiele überzeugen, es gilt eine Position zur Bauherrenschaft zwischen Paternalismus und Erfüllungsgehilfe zu finden, qualitätvolle, offene Prozesse in Architektur und Städtebau sind zu entwickeln, um Bauherrn und Bürgerinnen zu begeistern und in der Planung mitzunehmen.

Wir brauchen mehr Aufmerksamkeit für soziale Fragen – diese kommen im Positionspapier eindeutig zu kurz.

Wir brauchen eine Leistungsphase 0, in der die Strategiefindung mit der Politik und die Mitarbeit an der Aufgabenstellung beinhaltet ist. Diese muss auch mit einem anderen Ansatz als über die Bausumme honoriert werden.

Wir brauchen neue ökonomische Modelle, in denen Bestandserhalt günstiger ist als Neubau, und natürliche Materialien günstiger als Beton und Stahl, in denen Abschreibungen langfristiger wirken, in denen nicht das billigste Angebot beauftragt werden muss, in denen Produkte aus der Region bevorzugt werden.

Nach der Debatte im Plenum fanden sich die teilnehmenden BDA Mitglieder im Foyer und Garten des HdA zu einem Abendimbiss mit Umtrunk zusammen und ließen den Tag bei anregenden Gesprächen ausklingen.

Julia Mang-Bohn, 2. Stellvertretende Landesvorsitzende


Medienliste zum Nachschauen und -lesen

Video
• „Gaia – Die neue Erde“ von Bruno Latour: https://www.arte.tv/de/videos/106738-001-A/gespraeche-mit-bruno-latour-1/ (3. Teil)
• Donut Economy von Kate Raworth: https://www.youtube.com/watch?v=1BHOflzxPjI

Bücher
• „Sorge um den Bestand, Zehn Strategien für die Architektur“, Jovis Verlag 2020
• „Die Donut- Ökonomie“ von Kate Raworth, Hanser Verlag 2022
• „Material Matters“, von Sabine Oberhuber Thomas Rau, Econ Verlag 2021

Veröffentlichungen der externen Experten
• „50 + 1 architektonische Gewissensfragen“, von Dr. Martin Düchs, Dölling und Galitz Verlag, München 2019
• „Kleine Eingriffe“ HG Walter Nägeli, Niloufar Tajeri, Birkhäuser Verlag, 2016
• „Deutschlands Zukunftsweisen“ Initiatoren Prof. Dr. Maja Göpel, Prof. Dr. Martin Stuchtey, SYSTEMIC Deutschland GmbH unter Mitarbeit von Dr. Bertram Kloss, Septem-ber 2021, www.zukunftsweisen.de

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