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Nachbericht Symposium: Wie in soziale Verantwortung investieren? Akteure des Bauens nehmen Stellung

27. Februar 2020

»Wohnen muss ein Grundrecht sein, aber wo mit Bauland spekuliert wird, wo Bodenpreise explodieren, Baustandards und Baukosten stetig steigen, Baufirmen auf Jahre ausgebucht und Bauhandwerker echte Mangelware sind, kann dieses Grundrecht Wohnen von vielen schlichtweg nicht mehr wahrgenommen werden.«

Ina Laux, Architektin und Referentin für Standards und Wohnen im Landesvorstand des BDA Bayern hat die Problematik in ihrem Grußwort auf den Punkt gebracht. Doch wo liegt der Schlüssel zur Lösung der momentan drängendsten sozialen Frage? Wer kann wie in soziale Verantwortung, das heißt die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum investieren?
Bereits zum zweiten Mal kooperieren die Stiftung Weiter-Denken für protestantische Kultur und Stadtgesellschaft und der BDA Bayern zu Fragen der Schaffung von Wohnraum. Während im Vorjahr die politischen Rahmenbedingungen des Wohnungsbaus diskutiert wurden, waren jetzt die handelnden Akteure geladen, die die Architektin Anna Hanusch Vorsitzende des Beirats der Stiftung Weiter-Denken vorstellte:
Akteure die über große bebaubare Flächen verfügen wie die Stadtwerke München und die Kirchen, und auf der anderen Seite bauwillige Investoren aus der freien Immobilienwirtschaft sowie Vertreter nicht profitgetriebener Eigentums- und Finanzierungsmodelle wie Genossenschaften oder dem Mietshäuser Syndikat.

Nach der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit 1990 wurden von 1999 bis 2015 ca. 3 Mio Wohneinheiten aus kommunalem Besitz verkauft. Die Folgen ließen, in Kombination mit der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht lange auf sich warten: Von 2010 bis 2018 hat sich der Bodenpreis in München verdreifacht, allein von 2014 bis 2018 ist er um 71 Prozent gestiegen. 2018 lag in München die durchschnittliche Miete für Erstbezug bei 19,90 Euro, der Quadratmeterpreis für eine Neubauwohnung bei 9000 Euro.
1950 lag der Anteil der Bauklandkosten eines Wohngebäudes bei 1,42 Prozent, 2018 bei 79, 15 Prozent.

In seiner Keynote zeigte Tillmann Harlander, Mitglied des Expertenkreises der IBA 2027 StadtRegion Stuttgart, wie kritisch die extreme Verknappung von bezahlbaren Wohnungen nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Funktionieren und die Wettbewerbsfähigkeit einer gesamten Großstadt sein kann, wenn Pflegepersonal in Krankenhäusern, Fahrer im öffentlichen Personenverkehr oder selbst Spezialisten des mittleren Managements sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten können.
Er veranschaulichte noch einmal die Chronologie der Versäumnisse der Bundespolitik, die den sozialen Wohnungsbau seit den 1980er Jahren schrittweise abgeschafft hat.

Nun scheinen die Politiker die Dringlichkeit der Situation wiederentdeckt zu haben:
In Berlin ist seit dem 30.01.2020 durch den Druck der Öffentlichkeit der Mietendeckel in Kraft und in Bayern lief bis zum 31. Januar in 162 Städten und Gemeinden das Volksbegehren Mietenstopp zum Einfrieren der Mieten für die nächsten sechs Jahre. Der Tübinger Oberbürgermeister will unbebaute Grundstücke zwanghaft bebauen lassen. Ob diese radikalen politischen Maßnahmen greifen und überhaupt verfassungsgemäß sind, muss erst noch geklärt werden.

Andere Teile der Bevölkerung stemmen sich – meist aus Angst vor zunehmendem Verkehr – vehement gegen die Entwicklung neuer Wohnquartiere in ihrer Umgebung.
Während sich die Freiburger im Rahmen eines Bürgerentscheids für das neue Baugebiet Freiburg-Dietenbach entschieden haben, formiert sich im Münchner Nordosten eine Bürgerfront gegen die dortige Stadtentwicklungsmaßnahme SEM. In Feldmoching lehnt die Bevölkerung die Bebauung des 900 Hektar großen Gebiets Eggarten, zugunsten einer grünen Oase ab. Beim Wohnungsbau sei Enteignung (verbunden mit einer Entschädigung) ein Tabu-Thema, beim Bau von Straßen wird sie ohne große Widerstände tagtäglich praktiziert.

Die anschließende Podiumsdiskussion zeigte, wie sehr Lösungsversuche bei dieser großen sozialen Frage von handwerklichen Details abhängen, von juristischen Formulierungen in Kaufverträgen bis hin zu Entscheidungen, ob die gemeinwohlorientierte Eigentumsform des Wohnungssyndikats die gleichen Förderungen beim Grundstückskauf in Anspruch nehmen darf wie die traditionelle Genossenschaft.

Während in den Medien meist neue Rekordzahlen noch weiter gestiegener Preise für Mieten und Wohnungseigentum veröffentlicht werden, kamen auf dem Symposium zahlreiche positive Beispiele der unterschiedlichen Akteure zur Sprache:
So weitet die Landeshauptstadt München die Gebiete mit Erhaltungssatzung immer weiter aus, um die Gentrifizierung und damit verbundene Entmischung in Bestandsquartieren einzudämmen: 160 000 Wohnungen, das sind 281 000 Münchner, der insgesamt 800 000 Wohnungen in München erhalten so einen gewissen Schutz vor Luxussanierungen. Eine mögliche Umgehung wird allerdings von Investoren durch die zunehmende Verschärfung bei der Beurteilung von Abwendungserklärungen angestrebt.
In Zukunft fördert die Stadt den konzeptionellen Mietwohnungsbau mit einer verlängerten Bindungsfrist von 80 Jahren.

Seit kurzem werden Mietshaus Syndikate den Genossenschaften gleichgestellt. Deren Bewohner müssen keine Einlagen wie bei Genossenschaften leisten, über die Anschubfinanzierung hinaus finanzieren sie sich über Privatkredite. Das Mietshäuser Syndikat wurde 1999 in Freiburg gegründet und bewirtschaftet bundesweit 154 Häuser – vom Einfamilienhaus mit sechs Bewohnern bis hin zu Wohnanlagen für 260 Bewohner. In München erwarb das Mietshaus Syndikat in den vergangenen 13 Jahren mangels erschwinglicher Bestandsgebäude bislang nur ein Haus. Diese Eigentumsform ist nach wie vor ein Sonderfall. Im Vergleich dazu wurden allein in München in den letzten Jahren 16 Genossenschaften neu gegründet, zusätzlich zu den 40 bereits bestehenden.

In Bayern wurden von den 33 000 GBW-Wohnungen, die 2013 an ein Konsortium unter Führung des Patrizia-Konzerns verkauft worden waren, inzwischen wieder 9000 Wohnungen zurückgekauft – zu allerdings weit höheren Preisen.

Als beispielhaft wird die vorbildliche Bodenvorratspolitik der Stadt Ulm vorgestellt, die 40 Prozent der Grundstücke im eigenen Besitz mit preislimitiertem Vorkaufsrecht hält. Stuttgart hat sich an München orientiert und fördert mittlerweile 30 Prozent der Wohnungen nach der Sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN).

Dennoch appellierten die ehemalige Stadtbaurätin Christiane Thalgott in ihrer Funktion als unerbittlich nachhakende Moderatorin und Keynote-Speaker Tillman Harlander an alle Akteursgruppen: Die Stadt gehöre nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern, die schon da sind, sondern auch denen, die noch kommen wollen. Die aktuellen Bürgerproteste gegen Neubauquartiere müssten noch stärker mit Argumenten entkräftet werden. Der Stadtrat solle sich eindeutig zu Neubauquartieren bekennen anstatt den Wohnungsbau zu bremsen. Der Genehmigungsvorbehalt für Umwandlung zu Luxussanierungen müsse auf das gesamte Stadtgebiet ausgeweitet werden. Die Kirche – und zwar vor allem die katholische – solle endlich ihren Grundbesitz für Wohnungen zur Verfügung stellen, die sich auch ihre eigenen Angestellten leisten können.

Stefan Geissler vom katholischen Siedlungswerk München gab zu Bedenken, dass die Grundstücke und Immobilien in Kirchenstiftungen oder Pfründestiftungen eingebracht sind; in Summe in der Erzdiözese München Freising jeweils ca. 650 Stiftungen. Die Stiftungsaufsicht orientiere sich bei der aktuellen Vergabepraxis von Erbbaurechten zunächst am marktwertüblichen Preis des Erbbaurechts, allerdings sind Vergünstigungen beim Erbbauzins von bis zu 20 Prozent möglich, z.B. wenn der Bewerber preisreduzierte Mietwohnungen errichten will.

Auch bei den Genossenschaften gibt es laut Christian Stupka noch Handlungsbedarf: In München verbleiben ein Ehepaar oder beispielsweise eine Witwe bis zum Ende ihres Lebens in einer 90 m² großen Wohnung, in die sie einst mit Kindern eingezogen waren. In Zürich dagegen müssen die Bewohner in solchen Fällen nach einem Jahr Karenzzeit in eine kleinere Wohnung umziehen. Wenn die GEWOFAG diese Praxis bei ihren 30 000 Wohnungen anwenden würde, könnte das ohne Neubaumaßnahmen zur Entspannung der Situation beitragen.
Außerhalb der Genossenschaften scheint das auch in Bayern möglich zu sein: Im Dorf Wörthsee leben 400 Witwen allein in ihren Häusern. Für sie wird momentan ein Seniorenheim gebaut, damit diese Häuser wieder für mehrköpfige Familien zur Verfügung stehen.

Neue Kooperationen seien nötig, wie beispielsweise bei der geplanten Umgestaltung der evangelischen Auferstehungskirche im Westend, auf deren Grund eine Genossenschaft Wohnungen bauen wird. Immerhin seien in München 14 Prozent des Wohnungsbestands in der Hand von Genossenschaften sowie städtischen und kirchlichen Wohnungsunternehmen und somit der Spekulation entzogen. Man müsse aber die Ziele noch höher stecken: Zürich liege mit 25 Prozent noch um einiges weiter vorn.

Sabine Hermann vom Mietshäuser Syndikat bewirbt sich momentan auch in der Bayernkaserne um ein Grundstück. Auch Einzelhäuser, die die Stadt geerbt hat oder kleine Grundstücke, die für die Genossenschaften unrentabel seien, könnte das Syndikat für gemeinwohlorientierten Wohnraum nutzen.

Jürgen Büllesbach sieht auch den frei finanzierten Wohnungsbau als relevanten Akteur. Nach seiner langjährigen Führungsposition für die Bayerische Hausbau entwickelt er nun für die Opes Immobilien GmbH des Mehrheitsaktionärs Heinz Hermann Thiele auf dem Gelände der Knorr-Bremse ein Quartier mit 600 Mietwohnungen. Die Rahmenbedingungen seien dort, dank der gut ausgestatteten Kapitaldecke und weil das Grundstück als Industriegebiet schon im Besitz des Entwicklers war, günstiger als für andere Investoren. Unbegreiflich sei, weshalb Firmen mit ähnlich guten Voraussetzungen wie beispielsweise BMW nicht auch Werkswohnungen errichteten, sondern die Gehälter den ständig steigenden Mieten anpassen und so zur Verdrängung von Niedrigverdienern beitragen.

Tillman Harlander sprach sich für mehr Engagement der privaten Bauträger aus: Das Beispiel von 162 Mietwohnungen, die das Bauunternehmen Deurer in Augsburg errichtet hat würde zeigen, dass ein Privatunternehmen mit bayerischer EOF-Förderung selbst im sozialen Wohnungsbau schwarze Zahlen schreiben könne.

Bernhard Boeck, Leiter der Stadtwerke München Immobilien bedauerte, dass die Münchner Stadtwerke mit dem Betrieb und Neubau von Werkswohnungen allein auf weiter Flur stünden. Zu dem Bestand von 1000 Werkswohnungen sollen bis 2030 weitere 3000 Wohnungen mit einem Investitionsvolumen von 900 Mio Euro dazukommen, 500 davon sind bereits im Bau. Die Mieten werden mit 9 Euro/m² nur halb so hoch liegen wie die durchschnittliche Erstbezugsmiete 2018 in München mit 19,90 Euro/m².

Kann die Wohnungsnot also mit den richtigen Investitionen beendet werden? Es bedarf in jedem Fall vermehrter Anstrengungen aller Akteure. Die Veranstaltung zeigte zudem die Notwendigkeit der Kooperation derer, die über Geld und Grundstücke verfügen mit denen, die Visionen und gute Ideen haben. Ina Laux hat es bei ihrem Grußwort treffend formuliert: »Wir brauchen Querdenker, die ihr Gewissen so umtreibt, dass sie sich etwas grundlegend Neues einfallen lassen. Wir brauchen Waghalsige, die etwas riskieren und wenn es nur der eigene Gewinn ist. Wir brauchen einen Aufstand der Vernünftigen!«

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